Schmerzen beim Pferd erkennen

Auch Gähnen kann ein Anzeichen für Stress oder Schmerzen sein. Bildquelle: Christiane Slawik

Kommt ein Pferd auf drei Beinen aus der Box, ist jedem klar: Dieses Pferd hat Schmerzen. Was selbst erfahreneren Pferdehaltern weniger klar ist: als Fluchttiere zeigen Pferde Schmerzen keineswegs immer deutlich, schließlich soll – so hat es die Natur weise eingerichtet - nicht auch der letzte Löwe gleich sehen, dass sie eine leichte Beute wären. Es liegt deshalb allein in unserer Verantwortung auch den „versteckten“ Schmerz unserer Pferde zu erkennen. Doch wie können wir das?

Rittigkeitsprobleme können Hinweise liefern

 

Jeder hat es schon erlebt - im Bestfall nicht selbst, sondern als Beobachter am Rande einer Reitbahn: Das Pferd verkantet sich, peitscht mit dem Schweif, läuft auf 3 Hufschlägen und/oder lässt sich schwer zum Vorwärtsgehen motivieren. In diesen Fällen wird dem Pferd häufig vorschnell eine blöde Angewohnheit, Widersetzlichkeit, simpel schlechte Laune und Arbeitsunlust unterstellt oder auch eine mangelhafte Ausbildung nachgesagt. Alternativ war es „schon immer so, das ist normal!“. 


Wer sich allerdings lang und intensiv genug mit Pferden beschäftigt, weiß nur zu genau, dass Rittigkeitsprobleme vielerlei Ursachen haben können und fast nie in Unwillen begründet sind. Häufig zeigen uns die Pferde einfach, dass sie Schmerzen haben. Selten ist es „Widerwillen“. 

    Man muss sich daher fragen:

    • Hat das Pferd Stress?
    • Gibt es Verständnisprobleme? Sind Reiter- oder Ausbildungsfehler die Ursache für psychische und/oder physische Auffälligkeiten?
    • Ist das Pferd schief oder bleibt es schief aufgrund von (subklinischer) Lahmheit?
    • Oder hat es einfach wirklich latente Schmerzen - z. B. aufgrund von Problemen im Magen-Darm-Trakt oder im Bereich des Bewegungsapparates?

    Hilfestellung zur Identifizierung von Schmerzen im Bewegungsapparat: Das Verhalten des Pferdes

    Untersuchungen von Sue Dyson ergaben, dass tatsächlich mehr als 47% der Sportpferdepopulation in der Arbeit lahm waren, die Lahmheit allerdings von Besitzer oder Trainer gar nicht erkannt wurde. Eine erschreckend hohe Zahl, die klar die Schwierigkeit aufzeigt, eine geringgradige Lahmheit beim Fluchttier Pferd überhaupt zu entdecken.

    Die englische Tierärztin und Wissenschaftlerin Sue Dyson beobachtete zunächst in ihrer alltäglichen Arbeit immer wieder ein spezifisches Repertoire an Verhaltensauffälligkeiten bei Pferden, die z. B. wegen Rittigkeitsproblemen unter dem Sattel zur Untersuchung vorgestellt wurden. Es stellte sich heraus, dass viele dieser Verhaltensweisen einfach Ausdruck von Schmerzen waren - und zwar explizit von Schmerzen des Bewegungsapparates! So hat sie, zusammen mit Kollegen, in umfangreicher Forschungsarbeit das „Ethogramm des gerittenen Pferdes“ entwickelt und in Bezug auf seine Praxistauglichkeit/Zuverlässigkeit erfolgreich getestet!

    Insgesamt wurden in 4 Studien über 2 Jahre hinweg 24 Verhaltensweisen herausgefiltert, die mit 10mal höherer Wahrscheinlichkeit mit einer (subklinischen) Lahmheit assoziiert werden konnten (siehe Übersicht). Wichtig hierbei ist zu beachten, dass das Verhalten sich teilweise wiederholen bzw. für eine gewisse Zeitdauer zeigen sollte, um als Schmerzausdruck wirklich eindeutig aussagekräftig zu sein!

    Verglichen wurden in den Studien die Verhaltensweisen lahmer und lahmfreier Pferde sowie Änderung des Verhaltens der Pferde vor und nach Lokal-/Leitungsanästhesie (Ausschalten der Schmerzen).

    Die Pferde wurden immer von dem gleichen Reiter (unterschiedlichen Niveaus) mit der gleichen Ausrüstung (die unterschiedlich gut passte) und unter den gleichen Rahmenbedingungen, gemäß einem standardisierten Protokoll, geritten. Pferde, die Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparates hatten, zeigten zumeist 8 oder mehr (max. 14) der gelisteten Verhaltensweisen, wohingegen gesunde Pferde im Durchschnitt nur 2 (max. 6) der Auffälligkeiten ausdrückten. Wurden die Pferde anästhesiert, verschwanden die Verhaltensweisen - selbst bei den Pferden, bei denen z. B. die Ausrüstung nicht gut passte und sogar bei Pferden, die bereits vor dem Versuch verspannte Rückenmuskeln oder gar Schmerzen attestiert bekamen oder Pferden, deren Reiter störte!

    Diese Verhaltensmarker blieben umgekehrt bei den nicht anästhesierten Pferden auch dann weiterhin bestehen, wenn z. B. ein schlecht passender Sattel korrigiert wurde.
    Das zeigte sehr klar, dass diese spezifischen Verhaltensweisen von Pferden explizit bei muskuloskelettalen Schmerzen gezeigt werden! Somit war es den Tierärzten sogar möglich, allein mittels dieses Ethogramms die lahmen Pferde zu identifizieren - auch ohne eine vorherige Untersuchung!

    Viele Pferde mit hohem Score

    In einer 3 *** Vielseitigkeit konnten 59 % der Pferde mit einem RHpE score von ≥7 den cross-country nicht zu Ende bringen, im Vergleich zu nur 33 % bei denen der RHpE score unter 7 lag!

    Ethogramm des gerittenen Pferdes nach Dyson et al. (2018)

    Hinweise im Gesicht

    • zurückgerichtete bzw. angelegte Ohren (einzeln oder beide) für mehr als 5 Sekunden; wiederholt angelegt
    • Augenlider geschlossen oder halb geschlossen für 2-5 Sekunden; schnelles Blinzeln
    • Sklera („Weißes“ im Auge) wiederholt zu sehen starrer Blick für mehr als 5 Sekunden
    • wiederholtes Öffnen und Schließen des Mauls, bei dem auch die Zähne geöffnet werden, für mehr als 10 Sekunden
    • ein „Entblößen“, Herausragen oder Heraushängen der Zunge und/oder ein Raus- und Reinstrecken der Zunge
    • Gebiss wiederholt zu einer Seite herausgezogen

    Hinweise im Körper

    • wiederholte Veränderungen der Kopfposition a) auf und ab, aber nicht zum Trabtakt passend oder b) hin und her
    • wiederholtes Verkanten im Genick/Kopfneigen
    • Kopf mehr als 30° vor der Vertikalen für mehr als 10 Sekunden
    • Kopf mehr als 10° hinter der Vertikalen für mehr als 10 Sekunden
    • Schweif wird eingeklemmt oder zu einer Seite getragen
    • Schweifschlagen in großen Bewegungen (auf und ab / hin und her / im Kreis), vor allem während der Übergänge

    Hinweise im Gang

    • Eiliger Gang (die Frequenz der Trabtritte >40/15 Sek.); unregelmäßiger Takt in Trab oder Galopp; wiederholte Geschwindigkeitsänderungen in Trab oder Galopp
    • zu langsamer Gang (Frequenz der Trabtritte unter 35/15 Sek); Passage-artiger Trab
    • Hinterbeine folgen nicht der Spur der Vorderbeine, sondern weichen nach links oder rechts aus; oft entstehen 3 Hufspuren im Trab oder Galopp
    • Angaloppieren wiederholt auf der falschen Hand; springt um in der Vor- oder Hinterhand (Kreuzgalopp)
    • unwillkürliche Änderung der Gangart (Durchparieren von Galopp zu Trab oder Übergang von Trab zu Galopp)
    • wiederholtes Stolpern, beidseitiges Zehenschleifen in der Hinterhand
    • plötzliche Richtungsänderung, entgegen der Reiterhilfen; Scheuen
    • widerwilliges/zögerliches Vorwärtsgehen (muss wirklich energisch aufgefordert werden über Stimme, Ferseneinsatz o. ä.), unvermitteltes Stehenbleiben
    • Steigen
    • Buckeln oder Ausschlagen

     

    Mögliche weitere Ursachen für Verhaltensabweichungen

    Das Reitervermögen konnte die Aussagekraft des Ethogramms nicht manipulieren. Fortgeschrittenere Reiter hatten zwar durchaus einen stabilisierenden Effekt auf die Pferde, konnten aber keine Lahmheiten maskieren!

    So zeigten lahme Pferde, die bei schwachen Reitern eine Kopfposition deutlich vor der Vertikalen hatten, bei routinierten Reitern eine hinter der Vertikalen - beides je nach Ausmaß Hinweise auf eine Lahmheit (siehe Übersicht). Die Anzahl der Verhaltensmarker blieb aber in Summe, ungeachtet der reiterlichen Fähigkeiten, immer gleich!

    Ähnliches gilt für das Reitergewicht - je schwerer der Reiter, umso mehr Verhaltensauffälligkeiten zeigten die Pferde, aber sie blieben dennoch unter dem Schwellenwert von 8 für Lahmheiten!
    Somit bietet sich das Ethogramm beispielsweise auch zum Einsatz bei Proberitten oder Ankaufsuntersuchungen an!

    Das zuverlässige Verschwinden der Verhaltensauffälligkeiten nach Leitungsanästhesie half auch, diese als Ausdruck von Schmerz bei Magenproblemen zu differenzieren. Unter anderem wurden Pferde analysiert, die eine Behandlung mit Magenmedikationen hinter sich hatten und als „frei von Magengeschwüren“ ausgewiesen wurden und die trotzdem die genannten Verhaltensweisen zeigten.
    Hierzu wurde allerdings angemerkt, dass die Beurteilung nicht umfassend genug bewertet werden konnte und zudem berücksichtigt werden muss, dass natürlich Magenprobleme und Lahmheiten auch gemeinsam auftreten können, bzw. die Magenprobleme durch subklinische Lahmheiten und die damit verbundenen Schmerzen verursacht werden und, gerade auch in unserer Erfahrung, dass Magenprobleme zudem schnell erneut entstehen können.

    Individueller Schmerzausdruck oder Stress?

    Die Wirkung der Leitungsanästhesie zeigt, dass Pferde ein spezielles Verhalten sofort ablegen können, sobald die Ursache dafür (der Schmerz) abgestellt wurde. Gleichzeitig gibt es auch Verhaltensweisen, die ebenfalls als Schmerzausdruck relevant sein könnten, die aber nicht zuverlässig durch Nervenbetäubung ausgeschaltet werden können:

    • Zähneknirschen oder Klappern auf dem Gebiss
    • verstärkte Atemgeräusche bei schwierigeren Lektionen (für Außentemperatur/Arbeitsumfang)
    • unverhältnismäßiges Schwitzen
    • auf einen oder beide Zügel legen oder Anlehnung vermeiden
    • Schwierigkeiten in eine Richtung abzuwenden
    • unnormale Körperhaltung nach dem Reiten
    • hohe Kruppe im Galopp
    • Probleme beim Aufsatteln/-zäumen: Wegbewegen, das Gebiss nicht annehmen, Scharren, Beißen

    Diese Verhaltensweisen könnten auch durch Stress verursacht werden und zudem scheint es mitunter tatsächlich auch eine Schmerzerinnerung zu geben, so dass eine Leitungsanästhesie erlerntes Verhalten nicht bei jedem Pferd sofort verbessert. Stress zeigen Pferde sehr unterschiedlich: das eine Pferd zeigt deutlich seinen Stress, indem es z. B. flüchtet, während ein anderes Pferd versucht, sich möglichst ruhig und unauffällig zu verhalten und dadurch den Ruf  erarbeitet, sogar angeblich besonders nervenstark zu sein.

    Die individuelle Tierbeobachtung ist also essenziell. Pferde verhalten sich unter variierenden Umständen ggf. unterschiedlich und jedes Tier hat seinen eigenen Ausdruck von Stress und Schmerz bzw. auch eine unterschiedliche
    Schmerzschwelle. Deshalb ist unbedingt die Summe der Verhaltensmarker zu beachten. Dann wird meist auch ersichtlich, dass ein Pferd, das „nur“ extrem gestresst erscheint (aber auch nach 70 g Magnoquiet pro Tag nur mäßig entspannter wird), dieses Verhalten aufgrund von latenten Schmerzen zeigt.

    Hier könnte die Beachtung des Ethogramms hilfreich sein, um die Sicherheit von Pferd und Reiter zu unterstützen.

    Sonderstellung Kopfschlagen

     

    Kopfschütteln muss vom Headshaking unterschieden werden. Das Headshaking-Syndrom ist durch unvermittelte, unkontrollierbare, heftige Ausbrüche an wiederholt vertikalen, horizontalen oder kreisenden Bewegungen des Kopfes und Halses gekennzeichnet und meist mit weiteren klinischen Auffälligkeiten verbunden: Maul schubbern, das Maul an den Vorderbeinen abstreifen, Schnauben oder sich verhalten, als wäre ein Insekt am Maul. In der Regel hat das gezeigte Verhalten eine Tageszeit- sowie Saisonabhängigkeit (tagsüber während des Frühlings/Sommers). Es wird vermutet, dass bis zu 5 % der Pferdepopulation von Headshaking betroffen sind.

    Headshaking ist sehr oft Trigeminus-assoziiert, insbesondere wenn zuvor Zahnprobleme, ein allergisch-bedingtes Geschehen, Luftsackmykose, Sinusitis oder Ohrinfektionen u. a. ausgeschlossen werden können. Das Headshaking umfasst also eine Vielzahl möglicher Ursachen, während das reine Kopfschütteln (in Abwesenheit von Fliegen) durchaus als Schmerzanzeichen gewertet werden kann.

    Eine Untersuchung von Thomson et al. (2019) zeigte, dass Kopfschütteln sofort aufhört, wenn die Ursache einer Lahmheit durch Leitungsanästhesie ausgeschaltet wurde.

    Eine randomisierte Cross-Over Studie mit 6 Pferden (und 6 Kontrollpferden), bei denen eine Trigeminus-vermittelte Ursache des Headshakings vermutet wurde (=idiopathisch, da andere Ursachen vorab oder auch durch Untersuchungen vor Ort ausgeschlossen wurden), zeigte eine positive Reaktion auf eine Magnesium-Supplementierung, insbesondere in Kombination mit Bor.

    Dies führte zu einer Reduktion des Kopfschüttelns (52 % bzw. 64 %), respektive je nach Schwere des Pferdes und der individuellen Ausprägung, wobei die am stärksten betroffenen Pferde am meisten profitierten.
    In der Studie wurde Magnesiumcitrat mit 24,2 mg/kg Körpergewicht dosiert. Das würde etwa 30 g Magnocalm® für ein 550-600 kg schweres Warmblut entsprechen.

    Wir haben zwar kein Produkt speziell für Headshaking, da die Ursachenzusammenhänge sehr komplex werden können, aber in den passenden Fällen haben unsere Kundinnen und Kunden gute Erfahrungen mit Magnocalm®  oder Magnoquiet®  gemacht. Sprechen Sie uns gerne darauf an.

    Zusammenfassung

    Man sollte sein Pferd in Bezug auf das gezeigte Verhalten im Training, insbesondere unter dem Sattel, ständig und sehr genau beobachten. Als Flucht- und Beutetiere versuchen Pferde immer, Schmerzen zu maskieren und die Fortbewegung sicherzustellen! So manches Rittigkeitsproblem könnte deshalb durchaus ein Anzeichen für versteckte Schmerzen im Bewegungsapparat oder auch im Magen sein. Mithilfe des von Sue Dyson entwickelten  Ethogramms können latente Probleme früher identifiziert werden, um damit auch früher eine Therapie einzuleiten und die Gesundheit des Pferdes, seine Leistungsfähigkeit und sein Wohlbefinden langfristig sicherstellen zu können!

     

    Abweichungen im Verhalten werden allzu oft als „normal“ akzeptiert - als Grundsatz sagt Sue Dyson, man solle sich immer fragen, ob sein Tier „glücklich und zufrieden aussieht“!

    Produktempfehlungen zum Thema

    Magnoquiet®
    Unsere durchdachte natürliche Unterstützung von Ruhe, Gelassenheit und Souveränität.
    Magnocalm®
    Behebung nervenaufreibender Magnesiummängel

    Literaturverzeichnis:

    • Dyson, S. (2019) Application of a ridden horse ethogram to horses competing at a 4-star three day event: Comparison with cross-country performance. Equine Veterinary Journal Supplement, 51, 5-31.

    • Dyson, S., Berger, J., Ellis, A., Mullard, J. (2018) Development of an ethogram for a pain scoring system in ridden horses and its application to determine the presence of musculoskeletal pain. J.Vet.Behav.: Clin.Appl.Res. 23:47-57

    • Sheldon, A.S., Aleman, M., Costa, L.R.R., Weich, K., Howey, Q., Madigan, J.E. (2019) Effects of magnesium with or without boron on headshaking behaviour in horses with trigeminal-mediated headshaking. J Vet Intern Med.; 33:1464-1472.

    • Thomson,K., Chan, C., Dyson, S. (2020) Head tossing behaviour in six horses: Trigeminalmediated head-shaking or musculoskeletal pain? Equ. Vet. J.; 32 (11): 58-64.